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Besichtigung Bioenergiedorf Jühnde



Das erste Bioenergiedorf Deutschlands liegt vor den Toren Göttingens. Das Dorf hat das Ziel, den eigenen Energiebedarf (Wärme und Strom) aus nachwachsenden Rohstoffen zu produzieren. Die Aufgabenstellung und die Ausführung dieses Projektes wurden uns von Herrn Gerd Paffenholz aus Jühnde erläutert.

Historische Entwicklung des Bioenergiedorfes

1992

Umweltkonferenz in Rio (Brasilien). Viele Menschen werden nachdenklich bezüglich Energiequellen und -verbrauch.

1998

In der Universität Göttingen entsteht die Idee erneuerbare Energie in einem Dorf zu nutzen.

2000

Das Forschungsprojekt "Bioenergiedorf" vom IZNE (Interdisziplinäres Zentrum für Nachhaltige Entwicklung) der Uni Göttingen wird bewilligt.

2001

Das IZNE sucht ein Dorf im Landkreis Göttingen, welches die Voraussetzungen für dieses Projekt erbringt. Aus 21 Dörfern hat sich Jühnde als "das Bioenergiedorf" qualifiziert.

2002

Gründung der Arbeitsgruppen und damit Einbeziehung des ganzen Dorfes in deas Projekt. Gründung der Bioenergiedorf Jühnde GbR Vorverträge für das Nahwärmenetz werden abgeschlossen (70 % aller Haushalte).

2003

Bewilligung zur Projektplanung der Bioenergieanlage durch die FNR (Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe) vom BMVEL) Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft).

2004

Fördermittelzusage der FNR für die geplanten Baumaßnahmen. Spatenstich mit Ministerin Renate Künast und Minister Jürgen Trittin.

2005

Strom- und Wärmelieferung ab September

Jeder kennt die Windkraftanlagen oder die Solarstromerzeugung. Der entscheidende Nachteil dieser Techniken ist die Schwierigkeit, die erzeugte Strommenge zu speichern. Hier setzt der Gedanke des Bioenergiedorfes an. Die Energieerzeugung erfolgt durch den nachwachsenden und CO2-neutralen Energieträger Biomasse. Die Biomasse kann durch ihre Lagerfähigkeit und ständige Verfügbarkeit in gleich bleibender Qualität entsprechend dem Strom- und Wärmebedarf flexibel eingesetzt werden.

Die Bioenergieanlage in Jühnde besteht im wesentlichen aus drei Komponenten:

  1. Biogasanlage mit Blockheizkraftwerk (BHKW)

  2. Holzhackschnitzelheizwerk / Spitzenlastkessel

  3. Nahwärmenetz

Biogasanlage mit BHKW:

In einem Fermenter wird aus der Biomasse und aus Gülle (etwa zu gleichen Teilen) wird ein Gas erzeugt, mit dem das BHKW betrieben wird. Der erzeugte Strom wird in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Die bei der Verbrennung des Gases entstehende Abwärme wird zur Wärme- und Warmwasserversorgung der angeschlossenen Haushalte genutzt.

Technische Daten:

  • Befüllung des Fermenters pro Jahr: ca. 9 000 m³ Gülle, ca. 10 000 t nachwachsende Rohstoffe, z. B. Weizen, Roggen, Triticale, Mais, Sonnenblumen usw. (Anbaufläche ca. 200 ha)

  • Stromeinspeisung pro Jahr: ca. 4 000 000 kWh

  • Wärmeeinspeisung pro Jahr: ca. 2 800 000 kWh, entspricht ca. 60 % des jährlichen Energiebedarfs

Technik:

BHKW ca. 700 kWel
Fermenter ca. 3 000, h: 8 m, Ø: 24 m
Zwischenlager ca. 5 200, h: 6 m, Ø: 34 m
Vorgrube ca. 280 m³
Siloanlage ca. 7 200

Holzhackschnitzelheizwerk:

In den Wintermonaten wird die Wärmeversorgung der Haushalte durch das Holzhackschnitzelheizwerk unterstützt. Es besteht aus einem Ofen mit Treppenrostfeuerung, in dem die Heizschnitzel stufenweise getrocknet und verbannt werden.

Technische Daten:

  • Bestückung des Ofens pro Jahr: ca. 1 8000 srm (Schüttraummeter), entspricht 750 Festmeter

  • Wärmeeinspeisung pro Jahr: ca. 1 500 000 kWh für die Monate Oktober bis April, entspricht ca. 35 % des jährlichen Energiebedarfs

Technik:

Holzofen mit ca. 550 kWth
Holzhackschnitzellager: ca. 600 srm Holz

Spitzenlastkessel:

Für den Fall, daß die gesamte Anlage ausfällt, und für die wenigen sehr kalten Tage im Jahr, versorgt zusätzlich der Spitzenlastkessel das Dorf mit Wärme. Ca. 1,7 MWthLeistung mit Heizöl für Energiebedarfsspitzen im Winter entspricht ca. 5 % des jährlichen Energiebedarfs.

Nahwärmenetz:

Im gesamten Dorf wurde ein Nahwärmenetz verlegt:
Wärmeeinspeisung von 4 500 000 kWh pro Jahr mit ca. 80 °C heißem Wasser bei einem Druck von ca. 3,5 bar.

Technik:

Ca. 5 500 m Leitung, davon 3 500 m Hauptleitung Anschluß von ca. 140 Haushalten

Fazit:

Bei Betrieb der Anlage wird eine CO2 Einsparung in Höhe von ca. 3 300 t pro Jahr erreicht.

 

Soweit die technischen und historischen Gegebenheiten, wie sie uns erläutert wurden. Darüberhinaus konnte uns Herr Paffenholz noch viele Details vermitteln.

Ganz wichtig während der gesamten Phase war die Beteiligung und die immer aktuelle Information des gesamten Dorfes. Es wurden bis zu 8 Arbeitsgruppen gebildet, die sich in die unterschiedlichen technischen Details einarbeiteten und die Entscheidung für oder gegen eine Variante trafen. So gab es für das Nahwärmenetz Kunststoff-, Kupfer- oder Stahlrohre, Vor- und Rücklauf in einer Isolierung oder getrennt. Der Fermenter konnte aus Metallplatten zusammengesetzt werden oder aus Betonteilen erstellt werden.

Auf der Anlage ist ein Vollzeitarbeitsplatz eingerichtet. Diese Kraft ist für das "Füttern" der Anlage verantwortlich. Man spricht vom Füttern, weil im Fermenter die gleichen Prozesse ablaufen wie im Kuhmagen. Die nachwachsenden Rohstoffe werden in der Siloanlage eingebracht, verdichtet und müssen dort einen gewissen Gärprozess durchlaufen. Danach kann die Masse in den Container zur Fütterung gegeben werden. Von hier wird die Masse mittels Transportschnecken in den Fermenter geführt. Durch das dort vorhandene Rührgerät wird die Arbeit der Bakterien angeregt. Die Gülle wird aus der Vorgrube automatisch zu geführt. Die eingebrachte Masse verbleibt im Schnitt 6 Wochen im Fermenter. Die aufgebrauchte Masse ist zersetzt und wird nach oben aus dem Fermenter ausgeschieden in das Zwischenlager. Hier wird noch weiteres Gas entnommen, so daß die Flüssigkeit zwar mehr Nährstoffe für den Boden enthält als die eingebrachte Gülle aber fast geruchlos ist.

Damit die Einwohner nicht mehr vom Geruch der Gülle belästigt werden, gehört zu der Anlage ein spezieller Gülletransportwagen, mit dem die Gülle regelmäßig von den Bauern abholt wird. Das Betanken dieses Fasses geschieht mit Unterdruck, so daß kein Geruch entweichen kann. Wir konnten uns davon überzeugen, weil während der Führung dieses Faß wenige Meter von uns in die Vorgrube entleert wurde.

Bei Anlieferung der Biomasse wird die Menge auf einer Anlagenwaage gewogen. Die Bezahlung erfolgt nach Gewicht. Die Restflüssigkeit wird von den Bauern mit normalen Güllefässern abgeholt und auf den Feldern verteilt. Durch den hohen Nährstoffgehalt kann der Bauer erhebliche Mengen an Kunstdünger einsparen. Die Anbauflächen für die Bioenergie müssen nicht gegen Wildkräuter gespritzt werden, so daß der Boden geringer belastet ist.

Die Nahwärmekunden, die gleichzeitig auch Eigentümer der Anlage sind, haben ihre alte Heizungsanlage entfernt und stattdessen eine Übergabestation eingebaut. An der Übergabestation wird durch die Messung der Eingangswärme und der Ausgangswärme der Verbrauch für die Abrechnung ermittelt. Die Übergabestation enthält auch eine Steuerung, mit der die Nachtabsenkung und die Aufladung des Warmwassertanks gesteuert wird. Bei der Entscheidung für das neue System war davon ausgegangen, daß niemand mehr bezahlen muß als zum damaligen Zeitpunkt für Heizöl. In der Vergleichsberechnung wurden die Kosten für Abschreibung der eigenen Heizung, Schornsteinfeger usw. berücksichtigt. Man kam bei einem Durchschnittshaushalt mit einem Verbrauch von 3 000 l auf 1 850 €/Jahr an Vollkosten. Dieser Berechnung lag ein Heizölpreis von 0,35 € zugrunde.

Auf die Kunden waren an Umstellungskosten ca. 1 500 bis 2 500 € aufzuwenden. Der Hausanschluß mußte mit 1 000 € bezahlt werden. Zusätzlich waren je Kunde 3 Genossenschaftsanteile je 500 € zu zeichnen. Je Jahr Betrieb sind 500 € Grundgebühr und je kWhth ca. 0,05 € zu zahlen. Herr Paffenholz ging für seinen Haushalt davon aus, daß er weniger zahlt als in der Vergleichsberechnung für die Altanlage errechnet.

Ca. zwei Drittel des Umsatzes von etwa 800 000 € werden mit der Einspeisung des Stroms in das öffentliche Netz erzielt, der Rest mit der Wärme. Der Preis für die kWhel ist nach dem erneuerbaren Energiegesetz auf 20 Jahre festgeschrieben. Für das Nahwärmenetz gab es Zuschüsse in Höhe von 1,3 Millionen €. Die Gesamtsumme der Investitionen betrug ca. 5,2 Millionen €. Durch die Anlage sind 1,4 Dauerarbeitsplätze entstanden. Schätzungen gehen davon aus, daß je Hauhalt 500 € Kaufkraft in der Region verbleiben.

Wir bedanken uns bei Herrn Paffenholz für den Vortrag und die interessanten Erläuterungen während der Führung.

Der Landkreis Göttingen fördert die Einrichtung weiterer Bioenergiedörfer. Zur Zeit läuft ein Wettbewerb unter 13 Dörfern für 12 Anlagen, von denen für 5 mögliche Anlagen die Kosten für die Machbarkeitsstudie durch den Landkreis gezahlt werden. Ursprünglich hatten sich mehr als 50 Dörfer beworben.

Manfred Scholle

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Stand: 25.09.2006 © BDIVWA Bezirksverband Göttingen 2010