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Besichtigung des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen


Vor 245 Jahren hat der schwedische Naturforscher Carl von Linné in seiner Systematik der belebten Natur die Halbaffen, Affen, Menschenaffen sowie die Menschen zur Gruppe der Primaten zusammengefasst. Nach Darwin hat auch der deutsche Zoologe Ernst Haeckel (1863) ähnliche Gedanken entwickelt, dass der Mensch und die großen Menschenaffen auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Daraus entstand als neue Wissenschaftsrichtung die Primatologie. Sie beschäftigt sich mit der Biologie der Affen und im weitesten Sinne auch mit der des Menschen. Die nichtmenschlichen Primaten ähneln dem Menschen in Gestalt und Körperfunktionen mehr als alle anderen Säugetiere. Das Erbgut des Menschen stimmt mit dem der Paviane zu 92 % überein, mit dem der Gorillas zu 96 % und mit dem der Schimpansen sogar zu 98 %.

In den Jahren bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es in Deutschland nur vereinzelte Forschung mit Primaten in Zusammenarbeit mit den Zoologischen Gärten bzw. eine Station auf Teneriffa.

In den sechziger Jahren nahm die Tätigkeit auf dem Gebiet der Primatologie wieder zu und es gab erste Anregungen, ein Primatenzentrum zu errichten. 1964 wurde in einer Denkschrift die Errichtung vorgeschlagen. Bis zum Jahre 1970 waren die Überlegungen immerhin soweit vorangekommen, dass als Vorentscheidung der Raum Göttingen aufgrund der zentralen Lage und der wissenschaftlichen Ausrichtung der Universität für den Bau des Primaten-Instituts ausgewählt war.

Die Standortfrage in der Region Göttingen sollte sich noch als großes Hindernis erweisen. Mehrere Standorte in der Umgebung Göttingens wurden geprüft und wurden teilweise auch aufgrund des Widerstandes in der Bevölkerung verworfen. 1976 konnte mit dem jetzigen Standort im Nordbereich der Universität ein ausreichendes und geeignetes Gelände gefunden werden. Im Jahre 1977 wurde der Gesellschaftervertrag zur Gründung des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) als ein Institut der „Blauen Liste“ zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen geschlossen.

Zur Zeit befinden sich im DPZ ca. 1500 Primaten. Damit ist die Kapazität nicht ausgeschöpft. In Kürze wird ein zur Zeit im Bau befindliches Ausweichquartier bezogen, damit das Tierhaus generalüberholt werden kann.

Das DPZ hat etwa 200 Beschäftigte, davon ca. 70 Wissenschaftler sowie Auszubildende für die Tierpflege. Der Jahresetat beträgt etwa 15 Millionen €. Ein Drittel dieses Etats wird über Drittmittel eingeworben.

Nach den einführenden Erläuterungen des administrativen Geschäftsführers des DPZ, Herrn Lankeit, übernahm Frau Husung die Führung durch die Außengehege.

Zunächst erfuhren wir alles Wichtige über die Lisztaffen, die vom Aussterben bedroht sind und für die ein Europäisches Artenschutzprogramm existiert, das rund 750 Individuen umfasst. Im DPZ sind etwa 40 Tiere dieser Art. Die Lisztaffen gehören zur Krallenaffenart und sind sehr schwierig zu halten. Ihr natürlicher Lebensraum ist in Kolumbien. Sie wiegen etwa 450 g. Die Zuchterfolge des DPZ können wesentlich zum Erfolg des Artenschutzprogramms beitragen. Die Gruppe der Lisztaffen ist in einem Raum mit großer Sichtscheibe zum Empfangsraum des DPZ untergebracht.

Foto: Michael Schwibbe
Wer beobachtet wen?
J. Witte, U. Sölter, W. Sölter und A. Kaluza (v. l.) vor der Sichtscheibe zu den Lisztaffen

Danach kamen wir an das Gehege der Javaneraffen. Hier erfuhren wir sehr viel über jedes einzelne Tier: Alter, Geschlecht, Vorlieben und Rangstellung in der Gruppe. Zwei der Tiere sind durch Handaufzucht aufgezogen und entsprechend zutraulich. Trotzdem darf man nicht zu dicht an das Gehege herantreten, weil die Tiere durch die Gitter greifen können und dann kratzen.

Als nächstes waren wir am Gehege der Mantelpaviane. Im Gehege sind etwa 20 Tiere zusammen. Alle Altersgruppen waren zu erkennen, von 2 Wochen bis zum 28jährigen Weibchen. Der Boden des Geheges ist mit Rindenmulch ausgefüllt, damit die bodenbewohnenden Tiere hier ihre Nahrung suchen können.

Die Bartaffen dagegen haben wieder einen festen Boden in ihrem Gehege, damit dieses regelmäßig gereinigt werden kann. Die Bartaffen stammen aus Indien und sind Regenwaldbewohner. Durch die Zerstörung der Regenwälder sind sie stark vom Aussterben bedroht.

Im Rhesusaffengehege konnten wir die größte Gruppe der Affen sehen: ca. 40 Affen in einem Gehege. Hier herrscht immer Bewegung. In solch großen Verbänden kann es auch zu Problemen führen, wenn ein ranghohes Tier herausgenommen wird und die Tiere einen Kampf um die neue Rangfolge austragen.

Das DPZ erfasst zu allen Primaten umfangreiche Daten der Geburt, Entwicklung und Abstammung. Alle Primaten werden einmal im Jahr gewogen, gemessen und gründlich untersucht. Je nach Größe werden sie entweder durch einen Chip oder durch Tätowierung gekennzeichnet.

Für uns Besucher waren die Tiere oft nicht zu unterscheiden. Frau Husung jedoch konnte uns nicht nur die Eltern und die Jungen zeigen, sondern wusste oft auch die Namen und die besondere Geschichte einzelner Tiere, die sie teilweise selbst in Handaufzucht aufgezogen hatte.

Nach der Besichtigung konnten wir in einem Film über das DPZ zusammengefasst die Erläuterungen von Frau Husung sowie weitere Informationen über die Primaten in ihren natürlichen Verbreitung und die Tätigkeiten des DPZ sehen.

Das DPZ unterhält auf Madagaskar und in Peru sowie in Eritrea Außenstationen, in denen mit durch Sendehalsbändern versehene Tiere in ihrer natürlichen Umgebung hinsichtlich ihrer Verhaltensweisen erforscht werden.

An die tierärztliche Versorgung der Tiere werden besondere Anforderungen gestellt. Sie muß gewährleisten, dass die Tiere gesund sind bzw. den Anforderungen entsprechen, die die Forscher erwarten. Dazu gehört, dass alle Tiere, die eingeführt werden, eine sechswöchige Quarantänezeit erfüllen. Darüber hinaus übernimmt das DPZ auch eine Servicefunktion für andere Einrichtungen, die spezielle Kenntnis über Krankheiten und Verhaltensmuster wird zur Verfügung gestellt.

Folgende Forschungen werden mit den Tieren durchgeführt:

  • Reproduktionsbiologie, wie

    • Follikelentwicklung, Gelbkörperfunktion und Implantation

    • Eizellbiologie und Eizell-Spermien-Interaktion

    • Entwicklung und Anwendung nicht-invasiver und in vitro alternativer Methoden zur Erfassung von Fortpflanzungsfunktionen

    Forschung auf dem Sektor der Infektionspathologie, z. B.

    • SIV-Infektionen bei Rhesusaffen als Modell für die HIV-Infektion und AIDS

    • TSE bei Makaken (BSE oder Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung)

  • Molekulare Evolutionsforschung

  • Populationsgenetik

  • Neurobiologie, drei Fragen

    • Welche Hirnstrukturen sind an der Stimmgebung beteiligt?

    • Wie sind die an der Stimmgebung beteiligten Strukturen miteinander verschaltet?

    • Wie drücken sich unterschiedliche emotionale Zustände stimmlich aus?

  • Kognitive Neurowissenschaften erforschen die vielfältigen Prozesse der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit.

Danach stand uns Herr Lankeit zu weiteren Fragen zur Verfügung. Die in den 70er Jahren in der Bevölkerung geäußerte Ablehnung ist nicht mehr vorhanden. Mehrere tausend Besucher nutzen im Jahre 2002 die Gelegenheit eines Tages der offenen Tür zur Besichtigung. Auch von Seiten der Tierschützer sind kaum Widerstände zu erkennen. Als große Erfolge des DPZ sind der 1. AIDS-Test und ein BSE-Test zu nennen. Aus beiden Tests kann bzw. konnte das DPZ Lizenzgebühren im Etat verbuchen. Für 2003 ca. 2 Millionen €.

Kritisch wird die derzeitige Diskussion zwischen dem Bund und den Ländern zur Neuaufteilung der Zuständigkeit für die Forschungseinrichtungen verfolgt. Als Teil der Leibniz-Gemeinschaft droht ein Zurückzug des Bundes aus der Förderung.

Durch die Aufzucht und die Weitergabe an andere Einrichtungen ist kein großer Betrag zu erwirtschaften. Die Rhesusaffen kosten zwar auf dem Weltmarkt ca. 5000 €, ein Krallenaffe ca. 1200 €, aber zur Auffrischung für die Zucht sind auch Einkäufe zu tätigen.

Das DPZ ist von Anfang an als ein Service-Institut für andere Forschungseinrichtungen in Deutschland konzipiert und eingerichtet. Vergleichbare Einrichtungen gibt es in Europa nur in den Niederlanden und mit Einschränkungen in Frankreich.

Wir bedanken uns bei Frau Husung für die Führung durch die Freigehege sowie den Herren Lankeit und Schwibbe für die ausführliche Erläuterung und die Organisation der Besichtigung.

Alle Fotos




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Stand: 01.07.2003 © BDIVWA Bezirksverband Göttingen 2010